Mein erster Freund

Nachdem ich von meinem Mitschüler Leon gemobbt worden war, bekam ich spürbare Schwierigkeiten im Umgang mit meinen Mitmenschen. Auch wenn ich insgesamt viel Glück gehabt hatte und der Rückhalt sowohl in der Schule als auch in meiner Familie sehr groß war und ich mich auf beinahe schicksalshafte Weise bereits wenige Monate nach dem Zwischenfall mit Leon mehr oder weniger ausgesöhnt hatte, spürte ich, dass in mir drin etwas zerbrochen war.

Meine Spontaneität war dahin, meine Offenheit und Lockerheit und vor allem mein Humor im Umgang mit fremden Menschen. Und da ich mich vorher ohnehin schon für eher schüchtern gehalten hatte, fiel es mir nun noch schwerer, neue Kontakte zu knüpfen oder entspannt auf lockere Sprüche oder auch nur ein freundliches Lächeln zu reagieren. Und das in einer Phase meines Lebens, in der ich mir wenige Monate vorher noch in rosaroten Farben ausgemalt hatte, wie es wäre, mich in einen Jungen zu verlieben und mit ihm zusammen zu sein. Aus und vorbei!

Als besonders irritierend empfand ich die Tatsache, dass meine Eltern und meine besten Freundinnen davon überhaupt nichts zu bemerken schienen. Ihnen gegenüber war ich so locker und lustig wie vorher, und ich hatte nicht den Eindruck, dass ich ihnen irgendetwas vorgaukeln musste. In vertrauter Umgebung, und das schloss meine Schulklasse, meine Handballmannschaft, meine Familie und meine Freunde ein, fühlte ich mich weiterhin sicher und geborgen, ich genoss dieses positive Gefühl in seiner gesamten Ausdehnung. Aber eine Stimme tief in mir drin schien permanent zu flüstern: ‚Anna, dir entgeht der ganze Rest des Lebens! Du musst raus aus der Komfortzone!‘. Doch diese Komfortzone verlassen – das konnte ich nicht. Es war, als stünde ich im Schwimmbad auf dem Zehner, von dem ich schon so oft gesprungen bin, dass ich mir irgendwann in meinem Leben vermutlich einen anderen Kick suchen muss, und würde statt ins kalte Wasser zu springen einfach die Leiter wieder runterklettern und mich in den warmen Whirlpool setzen.

Ich ging also ein paar Tage später ins Freibad und sprang ohne große Vorbereitung vom Zehner, was überhaupt kein Problem darstellte. Ich genoss die Schwerelosigkeit und das komische Gefühl im Bauch und das Kribbeln beim Eintauchen, hörte das Wasser in meinen Ohren rauschen und ließ mich langsam wieder nach oben steigen, zurück in die vollkommen normale Welt da oben, vor der ich keine Angst mehr zu haben brauchte. Als ich breit grinsend und überglücklich aus dem Wasser kletterte, lächelte mir ein mir vollkommen unbekannter, netter und hübscher Junge freundlich zu und reckte anerkennend den Daumen in die Höhe … woraufhin ich einen Kloß im Hals bekam, mein Herz hämmerte und mir kalter Schweiß auf der Stirn trat. Ich senkte den Blick, hastete an dem ahnungslosen Jungen vorbei in Richtung der Umkleidekabinen und heulte für mindestens zehn Minuten den Duschkopf an. Dann zog ich mich um und fuhr wieder nach Hause.

Das Projekt ‚Freund‘ konnte ich unter diesen Umständen komplett vergessen. Und das tat ich folgerichtig auch. Ich konzentrierte mich in den letzten Wochen vor den Sommerferien auf den Unterricht und die Klassenarbeiten, trainierte und spielte wie eine Besessene Handball, radelte mir die Beine lahm, zog im Schwimmbad meine Bahnen, bis alle Muskeln brannten, und ließ mindestens drei wirklich coole Geburtstagsfeiern sausen. Denn ich hatte überhaupt keinen Bock darauf, meine besten Freundinnen mit ihren frisch eroberten Liebhabern rumturteln zu sehen. Sie konnten nichts dafür – es war nicht ihre Schuld, dass ich komplett gestört war, aber ich wollte auch kein Mitleid und erst recht keine guten Ratschläge.

Dann kamen die Sommerferien, in denen meine Eltern und ich für drei Wochen kreuz und quer durch den Westen der USA reisten. In San Francisco mietete mein Vater ‚zum Spaß‘ für einen Tag ein Porsche Cabrio, mit dem wir bei filmreifem Sonnenschein die steilen Straßen rauf- und runterbrausten; wir machten einen Abstecher zum Yosemite National Park und fuhren mit einem alten VW Camper den Pacific Coast Highway hinunter bis Los Angeles; wir verbrachten einen Tag in der Glitzermetropole Las Vegas, und zum Abschluss flogen wir mit einem Hubschrauber über den Grand Canyon. Zwischendurch feierten wir meinen 15. Geburtstag am Coronado Beach in San Diego, stilecht mit üppigem Picknickkorb, Sonnenbad und Schnorcheln im flachen Wasser. Ich stellte alle meine Sinne auf ‚Input‘ und ließ die Eindrücke auf mich einwirken, ohne groß nachzudenken oder das Erlebte verarbeiten oder gar bewerten zu wollen. Es war ein knapp 1500 Meilen langer Rausch, und dieser Rausch schien meine finsteren Gedanken einfach wegzublasen. Hinzu kommt, dass meine Eltern sehr aufgeschlossene Menschen sind und wir mit so unglaublich vielen Leuten ins Gespräch kamen, dass mir der Small Talk mit wildfremden Menschen nach den drei Wochen wie das Selbstverständlichste auf der Welt vorkommen sollte.

Auf dem Rückflug machte ich zwei Listen. Eine mit tollen Erlebnissen aus dem Urlaub, nur Stichworte. Und eine zweite mit schönen Dingen, die ich zu Hause unbedingt machen wollte. Auf dieser Liste stand nichts von einem Freund. Einerseits amüsierte mich das, andererseits fand ich das keineswegs beunruhigend. Irgendwann würde ich Mr. Right schon treffen, ich war diesbezüglich inzwischen komplett sorglos.

Als das neue Schuljahr wieder anfing, betrachtete ich meine Liste. ‚Jede Party mitnehmen!‘ stand ziemlich weit oben. Zum Glück stand in den ersten Wochen keine Geburtstagsfeier in meinem engeren Freundeskreis an, so richtig sicher fühlte ich mich nämlich doch noch nicht. Zusätzlich stand ‚eine neue Sportart!‘ auf der Liste, und da es bei uns in der Schule eine Badminton-AG gab, fing ich zusätzlich zum Handball noch damit an. Neue Leute kennenzulernen war vermutlich mein Hintergedanke gewesen, aber zu meiner Überraschung kannte ich schon alle. Trotzdem hielt ich das ein paar Monate durch, musste dann aber einsehen, dass das Handballtraining zu viel Zeit beanspruchte. Witzig war es trotzdem.

Zwei Wochen nach Schulbeginn kam deutlich schneller als erwartet eine Einladung zu einer Geburtstagsfeier. Unsere Handballmannschaft hatte einen Neuzugang zu verzeichnen, sie hieß Carina, war erst vor kurzem in unsere Gegend gezogen und ging auf eine andere Schule als ich. Wir verstanden uns auf Anhieb ganz gut, kannten uns nach zwei Trainings und einem Punktspiel aber natürlich noch nicht richtig. Die Gästeliste bestand aus ein paar ihrer neuen Klassenkameraden sowie einigen Mädchen vom Handball, und sie würde an einem Samstag in ihren 16. Geburtstag hineinfeiern. Meine Eltern hatten prinzipiell nichts dagegen, dass ich bis nach Mitternacht bleiben würde, sie hätten mich sogar abgeholt, aber der Weg war nicht weit, und so versprach ich, dass ich um ein Uhr zu Hause sein würde. Ein paar Wochen zuvor, als ich noch 14 gewesen war, hatte ich nur bis 22 Uhr wegbleiben dürfen, insofern war die Freude auf meiner Seite sehr groß. Und ich hatte mir vorgenommen, jede Party mitzunehmen.

Trotzdem hatte ich ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend, als ich um kurz nach halb acht bei ihr ankam. Ausser ein paar Handballerinnen würde ich niemanden dort kennen, ich verließ also ganz eindeutig meine Komfortzone, zumal ich die Gastgeberin nicht wirklich kannte. Und tatsächlich begann der Abend äußerst schleppend. Das Essen war zwar unglaublich lecker, es gab ein umfangreiches Buffet, das nicht nur aus Nudelsalat und Würstchen bestand, und ich hatte keine Probleme, mich mit meinen Freundinnen zu unterhalten, aber die anderen Gäste waren … gewöhnungsbedürftig. Die meisten waren älter als ich, und neben den bereitgestellten Getränken wie Bier, Cola, Saft und Wasser hatten einige besonders ‚coole‘ Jungs offensichtlich auch härteres Zeug in rauen Mengen angeschleppt. Es kreisten Eistee-Flaschen, die mit Whisky gefüllt waren, Colaflaschen, in denen sich deutlich zu viel Rum befand, und Orangensaftkartons, deren beissender Geruch nahelegte, dass hier große Mengen Wodka im Spiel waren. Es war zwar nicht so, dass ich die letzten Jahre unter einem Stein gelebt und noch nie Alkohol getrunken hatte, aber ich hatte gehörigen Respekt vor allem, was ich nicht kannte, und hielt mich daher an meinem Beck’s Green Lemon fest. Einige von meinen Handballfreundinnen waren deutlich unvorsichtiger, was im Laufe des Abends zu entsprechenden Ausfallerscheinungen führen sollte.

Gegen halb elf fand ich mich mit meiner zweiten Flasche Green Lemon allein am Tresen des Partykellers wieder, neben mir knutschte eine Freundin von mir mit einem ziemlich ekligen Typen rum, der offensichtlich der Meinung war, die Länge der Zunge sei beim Küssen ausschlaggebend, und der einen säuerlichen Duft verströmte, als sei Seife ein Werk des Teufels. Ich hätte mich fast übergeben, aber er penetrierte ja zum Glück nicht meinen Rachen. Die Musik wurde langsam unerträglich, irgendjemand hatte für meinen Geschmack deutlich zu viel Sido und Eminem angeschleppt, und ich überlegte ernsthaft, mich heimlich zu verdrücken – die Party war meiner Meinung nach ein Flop.

Ich wollte mich gerade vom Barhocker erheben, als hinter dem Tresen ein freundlich lächelndes Gesicht unter einem dunkelblonden Haarbüschel auftauchte. Da ich in dem Moment ziemlich in Gedanken versunken gewesen war, zuckte ich zusammen, als hätte sich vor mir ein Raubtier materialisiert.
„Oh, Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken!“, sagte das Gesicht.
„Kein Problem, ich wollte ohnehin gerade gehen.“
„Schon?“
„Ja.“ Ich überlegte, ob ich ein „Tschüss!“ anhängen und einfach aufstehen und gehen sollte, aber irgendetwas hielt mich zurück. In der Sekunde war es vermutlich schlicht Gleichgültigkeit.
„Schade. Und warum?“
Small Talk, dachte ich. Rede mit ihm! Überwinde deinen inneren Schweinehund! Verlass‘ deine Komfortzone … jetzt!
„Die Musik ist Scheiße“, hörte ich mich sagen. Super, dachte ich, meckern und fluchen kommt sicher bestens an.
„Ja, stimmt. Was möchtest du denn hören?“
Mir hätte so viel einfallen können, ich liebe Musik, heute ist Spotify mein täglicher Begleiter, und damals warf ich große Mengen meines nicht zu knappen Taschengelds für CDs zum Fenster raus. Die Ader muss ich von meinen Eltern geerbt haben, die ebenfalls eine unglaubliche Vielfalt an Musik zu Hause haben. Wir sind vermutlich Musikjunkies. Doch alles, was ich sagte, war: „Keine Ahnung.“
Der Blondschopf verschwand kurz unter dem Tresen, Sidos Geblöke verstummte, und stattdessen fing Pink an, über das ‚Funhouse‘ abzulästern. Wie passend!
„Und, besser?“
„Ja. Danke.“
Er fing an, haufenweise CDs unter dem Tresen hervorzukramen, außerdem hatte er einen Rucksack dabei, dessen Inhalt – ebenfalls ein buntes Sammelsurium an CDs – er fein säuberlich vor sich aufstapelte. Ich entspannte mich ein wenig, lehnte mich zurück und betrachtete ihn genauer. Er hatte blaue Augen, ein schmales Gesicht, trug ein ausgewaschenes T-Shirt mit der Silhouette von Dirty Harry und dem Spruch „Do you feel lucky, Punk?“ und eine unaufdringliche Jeans. Seine Haare waren wirklich wüst – er scherte sich offensichtlich nicht um irgendwelche Frisurentrends, aber das machte ihn mir umso sympathischer. Er war vielleicht ein Jahr älter als ich, knapp einsachtzig groß und schlank, fast ein bisschen hager. Gelegentlich blickte er auf, lächelte mich freundlich an, wobei sich kleine lustige Fältchen um seine Augen bildeten, dann wieder betrachtete er die ein oder andere CD genauer, hielt sie fragend hoch, und ich nickte oder schüttelte den Kopf. Rihanna: Nicken, Black Eyed Peas: Kopfschütteln, Peter Fox: hochgezogene Augenbrauen, was er mit fröhlichem Nicken beantwortete, Emiliana Torrini: Nicken, Milow: säuerliches Gesicht, DJ Ötzi: heftiges Kopfschütteln, und so weiter.

Bei Bedarf legte er eine neue CD ein, wanderte stilsicher durch die Genres, wechselte von Rock über Dance zu sanfteren Klängen, und ich lauschte der Musik und sah ihm einfach nur zu.
Nach ein paar Songs stellte ich fest, dass mein Getränk leer war. Nicht dass ich Durst gehabt hätte; die Musik und seine Nähe waren alles, was ich momentan brauchte. Aber meine innere Stimme sagte: ‚Nutze die Gelegenheit!‘ – ‚Welche Gelegenheit?‘ – ‚Genau diese!‘
„Ich geh mir eben …“ Ich wedelte mit der leeren Beck’s-Flasche vor meinem Gesicht. „Soll ich dir was mitbringen?“
„Ja, bitte. Ein Bier.“
Ich nickte, erhob mich, schlängelte mich zwischen den Betrunkenen hindurch zum Kühlschrank und fand zwei geeignete Getränke.
„Ich finde keinen Öffner!“, rief ich in Peter Fox‘ „Haus am See“, als ich wieder am Tresen saß. Einerseits fand ich es gut, dass sich etwas zwischen uns befand, so konnte ich mich zu ihm hinüberbeugen, ohne dass es zu aufdringlich wirkte; andererseits fand ich es bedauerlich.
Er hatte einen Öffner an seinem Schlüsselbund, und wir stießen an.
„Übrigens, ich bin Felix.“
„Anna.“ Ich versuchte ein Lächeln. Er lächelte zurück. Der Glückliche. Emiliana Torrini ließ für uns die Jungle Drum erklingen.

Im Verlauf weiterer cooler Musik und freundlichem Lächeln mit süßen Fältchen um seine Augen und behutsam eingestreuten, knappen Dialogen – Felix wurde ebenfalls bald 16 und ging mit Carina in eine Klasse, und neben seinem ausgeprägten Musikgeschmack mochte er, ebenso wie ich, anspruchsvolle Filme wie ‚Lost in Translation‘ oder ‚Stolz und Vorurteil‘ – wurde es Mitternacht, viel zu früh für meinen Geschmack. Wir ließen unsere Gastgeberin hochleben, es gab Sekt und eine Torte mit 16 Wunderkerzen. In dem Getümmel verlor ich zuerst meinen Platz am Tresen an ein weiteres wild turtelndes Pärchen – und anschließend Felix aus den Augen. Mir wurde nicht sofort bewusst, dass ich das zutiefst bedauerte, und wollte mich gegen halb eins auf den Heimweg machen, als ich ihm im Kellerflur in die Arme lief.
„Oh, willst du schon los?“
„Ja, ich muss um eins zu Hause sein.“ Bitte, bitte, sag irgendetwas Nettes zu mir!
„Schade.“
‚Ja, das finde ich auch‘, dachte ich. „Bis dann“, sagte ich.
„Bis dann!“
Scheisse, mag er mich nicht? Mein Selbstbewusstsein machte sich bereit, die Reise in den Abgrund anzutreten. Ich konnte ja auf dem Heimweg heulen. Um die Zeit sah mich eh keiner, und meine Eltern waren in den letzten Monaten Kummer gewöhnt.
Ich wandte mich zum Gehen, meine Jacke und mein Helm warteten gleich oben am Treppenabsatz an der Garderobe, und mein treues Rennrad wartete draussen vor der Tür.
„Anna?“, fragte seine Stimme hinter mir, aus weiter Ferne.
„Ja?“. Ich drehte mich nicht um, ich musste meine Gefühle unter Kontrolle halten, jetzt bloß keine Szene und keine Tränen und keine sonstigen Ausfälle!
„In welche Richtung fährst Du?“
Ich wedelte mit der Hand grob nach Westen und nannte meine Straße, während ich die erste Treppenstufe betrat.
„Cool, in die Gegend muss ich auch!“ Seine Stimme war so voller Freude, dass meine finsteren Gedanken wie von einem Flutlicht überstrahlt wurden.
Ich drehte mich um: „Echt?“
„Hast du was dagegen … ?“
„Natürlich nicht!“ Ich grinste ihn an, wobei meine Augen vermutlich etwas gerötet waren, aber im Kellerflur war es schummrig, und ich hatte mehr getrunken als ich vertragen konnte, insofern war mir das alles vollkommen schnuppe. Sein Lächeln war ansteckend.

Wir verabschiedeten uns von Carina, die erstaunlicherweise nicht ganz so voll war wie der Rest ihrer Gäste, und traten gemeinsam vor die Tür in die milde Sommernacht. Er bewunderte mein Rennrad und stellte fest, dass mein Helm mir tatsächlich ganz ausgezeichnet stand. Mir war egal, ob das ein Kompliment werden sollte oder ernst gemeint war, er hätte auch behaupten können, dass der Mond in Wirklichkeit ein Käse war, mir war nur wichtig, dass er neben mir herfuhr und ich nicht wie geplant den ganzen Weg heulen musste, sondern lächeln durfte.

Er begleitete mich bis vor die Einfahrt bei mir zu Hause. Da standen wir dann, mit den Rädern zwischen den Beinen, schweigend, sprachlos, ratlos, der Moment drohte peinlich zu werden und zu kippen, so wie ich vom Rad zu kippen drohte, wenn ich mehr versucht hätte als ihm freundlich zum Abschied die Hand zu reichen. Ich wagte es trotzdem und fiel – natürlich! – mitsamt meinem Rad in seine Arme. Und auch wenn er einen halben Kopf größer als ich war, konnte er nicht verhindern, dass wir beide in die Hecke stürzten, die noch wochenlang überdeutlich die Spuren unseres Einschlags zeigen und für verwunderte Blicke der Nachbarn sorgen sollte. So lagen wir im dichten Geäst, zusammen mit unseren Fahrrädern, lachend, kichernd, Halt suchend, den anderen findend, und ich hätte nie gedacht, dass mein erster Kuss so spektakulär zustande kommen würde. Und mein zweiter. Und dritter.

Als er sich auf den Heimweg machte, war es halb zwei. Er fuhr wieder in die Richtung, aus der wir gekommen waren, denn er wohnte gar nicht in meiner Gegend. Er hatte von vornherein mit mir zusammen fahren wollen und nicht genau gewusst, wie er es anstellen sollte.

Meine Eltern glaubten mir nicht, dass ich rechtzeitig zu Hause gewesen war. Ich würde ihnen Felix vorstellen müssen. Die Hecke würde unsere Zeugin sein.

2 Gedanken zu “Mein erster Freund

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