Guten Morgen, Tod. Guten Morgen, Leben.

Bitte die Triggerwarnung beachten!

Ich schlief an diesem trüben und verregneten Montag bis zum späten Abend und schreckte aus einem neuen Traum hoch. Immerhin war mir dieses Mal bewusst, dass es sich tatsächlich nur um einen Traum gehandelt hatte, bei dem es um irgendwelche nicht jugendfreien Handlungen ging, deren pikante und anregende Details mir leider nach wenigen Sekunden entfallen waren. Außerdem ich war ich verhältnismäßig gut erholt, die Kopfschmerzen waren verschwunden, und ich hatte zwar nicht unbedingt das Gefühl, Bäume ausreißen zu können, aber ich war fit genug für ein bisschen Yoga.

Nach einem entspannten und entspannenden Workout setzte ich mich ein paar Stunden an meine Bücher und Skripte, aß ein bisschen Obst mit Joghurt und ging gegen drei Uhr morgens wieder ins Bett. Mein Rhythmus war also wieder im Eimer, trotzdem schreckte ich morgens fünf Minuten vor der Weckzeit hoch.

Und dieses Mal war der Traum deutlich übler gewesen. Es ging vornehmlich um den Tod. Erst war Morten gestorben, der blass auf einem stählernen Seziertisch aufgebahrt war, auf dem Tisch neben seinem lag die Leiche einer bildschönen jungen Frau; im Traum war ich sicher gewesen, dass es sich um Niks Freundin gehandelt hatte. Dann änderte sich die Perspektive und es waren Nik und ich, die gestorben waren. Am Ende waren wir, wie in einem schlechten Film, alle tot, und ich hatte versucht zu protestieren, weil ich mich lebendig fühlte, der Deckel des Zinksargs aber trotzdem über mir geschlossen wurde und die Pathologen meine lautstarken Proteste abfällig kommentierten mit: ‚Nun stell dich nicht so an, tot sein ist cool!‘

Das wirklich Erschreckende an diesem Traum war nicht die Tatsache gewesen, tot zu sein oder schreiend und strampelnd dagegen aufzubegehren, nein, viel grausamer war die daran anschließende Erkenntnis, dass tot zu sein vielleicht ein ganz cooles und erstrebenswertes Erlebnis sein könnte. Ich hatte zum Ende des Traums eine Todessehnsucht verspürt, die unheimlich anregend gewesen war, ein Gefühl von Sehnsucht und Verlangen, das ähnlich lustvolle Empfindungen ausgelöst hatte wie der Moment, als Nik eineinhalb Tage zuvor zum ersten Mal in mich eingedrungen war und ich ihn seinen schnellen Puls in mir gespürt hatte, und dieser wohlige Schauer im Zusammenhang mit dem Wunsch zu sterben hatte mir echte Todesangst eingejagt und mich aus dem Schlaf gerissen.

Ich atmete mehrmals tief ein als wäre ich beinahe ertrunken, meine Haut war kalt und klamm als hätte ich tatsächlich in einem Sarg gelegen.

Es war noch nicht so lange her gewesen, dass ich mich ernsthaft damit beschäftigt hatte, meinem Leben ein Ende zu setzen, aber das war immer ein von Flucht getriebener Gedanke gewesen, Flucht vor dem Elend meiner Existenz, vor dem Hass auf mich selbst und vor meinem kaputten Gehirn. Und vor dem Abgrund in meiner Gedankenwelt, der sich viel zu häufig aufgetan hatte und meinen Alltag in ein großflächiges Minenfeld verwandelt hatte. Darauf hatte ich einfach keinen Bock mehr gehabt, und ohne jeglichen erkennbaren Fortschritt ist der Gedanke an ein selbst bestimmtes Ende gar nicht schlimm. Man hat endlich wieder ein Ziel vor Augen, so zynisch das auch klingen mag.

Doch diese Art von Todeswünschen hatte mich in letzter Zeit nur noch sehr selten überkommen.

Aber die neue Variante, die mit Erregung und Lust lockte, machte mir richtig Angst. Ich bin prinzipiell ein lustgetriebener Mensch, ich mache gern Dinge, die mir Spaß machen, und es sind schon viele riskante oder unvernünftige Sachen dabei gewesen. Ich bin mit 17 nachts nackt im Freibad vom Zehner gesprungen, ich habe viel zu oft mein Schicksal durch ungeschützten Sex mit unbekannten Partnern herausgefordert und dabei mehr Glück als Verstand gehabt, aber allein der Gedanke daran, dass Sterben etwas Schönes sein konnte, war absolut furchtbar.

Keine Lust mehr auf das Leben zu haben ist nicht so schlimm wie animalische, triebgesteuerte und unendlich erregende Lust auf den Tod zu verspüren.

Das rief nach Kompensation, und ich hatte um diese Zeit nur eine Alternative: laufen.

Also ging ich raus und lief. Es war ein unglaublich schöner Morgen, der Himmel war nach einem langen Wochenende voller Unwetter, Regen und Sturm endlich wieder wolkenfrei, die aufgehende Sonne tauchte die Stadt in fröhliches Licht, und auch wenn mir nach dem Lauf die Beine brannten und mein leicht metallisch schmeckender Atem rasselte, hätte ich kaum glücklicher sein können.

Ich war vor meiner Todessehnsucht weggelaufen.

Ich hoffte inständig, dass mir das auch in Zukunft gelingen würde.

14 Gedanken zu “Guten Morgen, Tod. Guten Morgen, Leben.

  1. Der Traum und die Sehnsucht hören sich ja nicht so gut an :/ Vielleicht ein kleiner Tipp, falls das Gefühl oder die Sehnsucht nach dem Tod wieder kommt: Einmal in sich gehen und fragen, was der Tod einen geben würde (z.B Frieden etc) und dann schauen, wie man diese/s Gefühl/e in seinem Leben Schritt für Schritt kreieren kann, so dass der Wunsch nach dem Ausweg vielleicht nicht mehr ganz so stark ist.

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  2. Oh, das hört sich wirklich alles andere als toll an. Tut mir leid. So etwas muss ziemlich schlimm sein, Angst zu haben, es wirklich, also Wirklich! machen bzw tot sein zu wollen. Laufen war in dem Fall eine gute Idee. Einfach auf und davon. Den Tipp unten finde ich ebenfalls sehr gut. Wünsche dir, dass es nicht noch einmal auftritt. Glg Herta

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    1. Vielen Dank für deinen lieben Kommentar! Bisher kam das in der Form noch nicht wieder, aber ich habe echt Angst, dass das irgendwann mit einem Anfall von Selbsthass zusammen kommt … Ich brauche vorher eine Strategie, die dagegen wirkt.

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  3. Ich glaube, dass wir alle viel zu große Angst vor dem Tod haben (mich inbegriffen). Aber der Tod ist nun mal die Voraussetzung, dass wir leben können! Ohne das eine, gibt es das andere nicht! Genauso wie es ohne Schatten kein Licht, ohne Winter keinen Sommer, ohne Trauer keine Freude geben würde, so gibt es nur Leben, weil es auch den Tod gibt! Ich wünsch dir alles Liebe, Julia aka Psycho 😉

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    1. Hallo Julia, vielen Dank für deinen lieben Kommentar! Ich habe tatsächlich keine große Angst mehr vor dem Tod. Wenn er anklopft, bin ich vermutlich bereit, und wenn ich ihn erfolgreich rufe und er kommt, dann will ich ihn gewähren lassen. Ich finde es nur irritierend, dass ich mit meinen 22 Jahren so denke. Aber das ist eben so 🙂

      Ich wünsche dir einfach mal einen schönen Rest vom Sonntag! 😉

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      1. Ich weiß was du meinst! „Wir sind doch noch jung und sowas zu denken ist merkwürdig!“ Wie ich diese Gesellschaftsnormen hasse!

        Aber du bist gut so wie du bist und wir alle haben einen individuellen Weg und wenn das nicht jedem passt, dann ist das so und deren Problem, nicht unseres! 😉

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      2. Das sehe ich inzwischen genau so, und ich habe das Glück, dass ich eine Familie und gute Freundinnen habe, die zu mir stehen, aber deren Blick, wenn ich sage, „Hey, ich fände Sterben jetzt eine gute Alternative“ ist schon sehr irritierend.

        Zumal ich mir in dem Zusammenhang einen fiesen Zynismus zugelegt habe und solche Sachen auch sage, wenn ich sie gar nicht so ernst meine …

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