Vollgas im Leerlauf

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Die ersten Tage nach meinem letzten (und diesmal wirklich allerletzten) Besuch bei Morten fühlten sich erstaunlich normal an. Ich ging arbeiten, machte viel Sport, tastete mich beim Laufen an die 60-Minuten-ohne-Pause-Marke heran, füllte mein Gehirn mit klausurrelevantem Wissen und traf mich nach viel zu langer Zeit am folgenden Samstag mit meinen Freundinnen in unserem Lieblingscafé.

Bei Julia und Rüdi lief alles super, ich war beinahe froh, dass ich nichts mit ihm angefangen hatte, denn so wie Julia von ihm erzählte, passten die beiden großartig zusammen. Mit ihm und mir wäre es sicher auch prima gelaufen, er scheint ein toller Typ zu sein, aber bei meiner derzeitigen Beziehungsgestörtheit wäre das mit uns beiden eine ziemlich einseitige Geschichte geworden. Ich hätte ihm alle Energie entzogen und keine gegeben. Alles war gut so wie es war.

Bis auf die Tatsache, dass, neben vielen anderen Baustellen in meinem Leben, eine neue Beziehung, eine richtige Beziehung mit allem was dazu gehört, immer noch unvorstellbar zu sein schien. Dabei hatte ich immerhin meine seit letztem Herbst bestehende Furcht vor Sex in den vergangenen Wochen erfolgreich überwinden können, wobei meine beiden letzten Sexpartner aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung standen. Und wenn mich eins nervte, dann war es zu wenig Sex zu haben. Wenn ich ficken will, dann will ich ficken. Und, ja, mein Verlangen war tatsächlich so unterleibsgetrieben wie es klingt.

Ich hätte mich natürlich in meinen Flirt-Apps jederzeit bedienen können, die Auswahl in meiner Stadt ist groß, die Gelegenheiten zahlreich, aber auf Dauer war das keine Lösung für mein Problem. Ich hätte gerne längerfristig einen leidenschaftlichen Liebhaber fürs Vögeln gehabt, aber nicht für mehr. One Night Stands sind für mich außerhalb einer Beziehung nie ein Problem gewesen – wenn ich allerdings einen Freund habe, bin ich die treueste Partnerin, die man sich wünschen kann! – , und mit einigen davon habe ich mich häufiger zum Sex verabredet. Doch ein fester Sexualpartner, der nicht mein Freund wäre, käme mir merkwürdig vor.

Außerdem hatte ich große Angst davor, dass ich mich eventuell doch verliebe. Das ist ja so: wenn man jemanden häufig trifft und Spaß mit ihm hat, kommen die Emotionen ins Spiel. Und das kam in der aktuellen Phase überhaupt nicht in Frage.

Also doch der Griff zur App. Das, oder kein Sexleben. Ich würde mich dann einfach nur aufs vögeln und gevögelt werden konzentrieren müssen und mich nicht emotional auf meine wechselnden Sexpartner einlassen dürfen. Hat schon mit 17 ohne App nicht geklappt, aber so ist das eben.

Und das waren nur die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, während Julia von ihrem Glück mit Rüdi erzählte.

Doch dann schwenkte das Thema auf mein Liebesleben um.

„Anna, du brauchst auch wieder einen Freund!“, stellte Sabrina fest. Julias Erfolgsmeldung und das tolle Wetter hatten sie offenbar in einen besonders optimistischen Frühlingsmodus versetzt.

„Ich brauche keinen Freund, ich brauche nur jemanden fürs Bett!“

„Das eine schließt das andere nicht aus.“

„Ich bin ganz ehrlich: ich will keine Verantwortung für eine Beziehung übernehmen. Kann ich gar nicht.“

„Dann brauchst du einen verständnisvollen Mann“, warf Julia trocken ein.

„Das wäre unfair ihm gegenüber. Ich kann das momentan einfach nicht. Ich habe schon mit mir selbst genug zu tun.“

„Morten wäre …“, fing Sabrina an, doch ich fiel ihr wütend ins Wort: „Was habt ihr eigentlich immer alle mit Morten?!“

„Ui, sorry, ich wusste nicht, dass das ein Reizthema ist!“

„Mit Morten ist es endgültig vorbei! Und er ist ohnehin wieder in festen Händen.“

„Waaas? Ich dachte Ida wäre seine Cousine?“

Ich hatte Sabrina und Julia noch nicht auf den aktuellsten Stand gebracht, also holte ich das jetzt nach. Ich ließ nichts aus und berichtete auch davon, dass Ida mich darum gebeten hatte, seine aufdringliche und affektierte ‚Lebensretterin‘ Isabella zu vertreiben, und dass ich mir vorgenommen hatte, mich aus der ganzen Geschichte vollständig und endgültig herauszuhalten.

Danach herrschte vorläufig betretenes Schweigen.

„Okay, also war es das mit Mr. Perfect“, stellte Sabrina nach ein paar Minuten resigniert fest.

„So ist es!“ Meine Stimme zitterte ein kleines bisschen, und ich konnte nur hoffen, dass meine Freundinnen das nicht bemerkt hatten.

„Und was machst du jetzt?“, fragte Julia.

„Ich nehme mir, was mir vor das Display läuft und den Eindruck vermittelt, dass es halbwegs intelligent und attraktiv ist.“

„Das klingt nicht besonders wählerisch!“

„Ich suche ja auch nicht den Mann fürs Leben.“

„Und das funktioniert?“

„Das wird sich zeigen. Bisher sieht die Auswahl relativ groß aus, ich hoffe nur, dass ich nicht allzu häufig an einen Psycho wie mich selbst gerate!“

Meine Freundinnen zuckten kurz zusammen, aber sie kennen mich gut genug um zu wissen, dass ich kein unkalkulierbares Risiko eingehen würde.

„Und falls es euch beruhigt, verspreche ich euch ein Bild von jedem zu schicken, mit dem ich mich treffe!“

„Das fände ich ziemlich …“, fing Julia an.

„… witzig!“, fiel Sabrina ihr ins Wort.

„… peinlich!“, lachte Julia.

„Ist schon eine gute Idee“, sagte Sabrina.

„Dann wisst ihr zumindest, wen die Polizei suchen soll, wenn ich tot aus dem Fluss gefischt werde!“

„Das ist nicht lustig!“, schimpfte Julia.

„Nee, echt nicht!“, protestierte Sabrina.

„Ich passe auf mich auf!“

„Du bist offensichtlich verrückt!“, stellte Julia nach einer kurzen Pause fest. „Woher willst du wissen, dass der Typ kein Irrer ist?“

„Willst du darauf wirklich eine Antwort haben?“

„Ja, sicher.“

„Es gibt keine absolute Sicherheit dabei. Ich hatte schon einmal so eine Phase, damals noch ohne Apps, und das lief immer problemlos. Ich habe einen Blick für kranke Typen, und die sortiere ich schnell aus.“

„Und wenn du doch an einen Verrückten gerätst?“

„Willst du das wirklich wissen?“

„Klar!“

„Ganz ehrlich? Das ist ein Teil des Kicks.“

„Ernsthaft?“

„Absolut. Das Risiko ist überschaubar, aber wenn es doch eintritt, dann gehört das eben dazu. Das macht es ja so faszinierend und … wie soll ich sagen … so verdammt aufregend!“

„Du bist wirklich irre …“, flüsterte Sabrina.

„Und zwar komplett!“, ergänzte Julia.

„Hey, ich bin unkaputtbar!“

„Du wirst schon wissen was du tust …“, seufzte Julia.

Sabrina lächelte fröhlich: „Aber wir wollen Fotos von jedem!“

Ich versprach den beiden, genau das zu tun, und wir widmeten uns anderen Themen.

Doch wie es bei mir nicht anders zu erwarten war, lief das Leben in den nächsten Wochen doch ein bisschen anders als geplant.

Neben einer gewaltigen Anstrengung, den Stoff für die anstehenden Klausuren in meinen Schädel zu kippen, und einem vor allem durch Frust und beinahe schon Wahnsinn zu nennenden Eifer geriebenen Drang nach Sport, der dazu führte, dass ich dreimal pro Woche laufen ging und dreimal pro Woche heftigste Workouts veranstaltete, kam ich tatsächlich zu mehr als befriedigender sexueller Betätigung.

Bilanz der zwei Wochen nach diesem Treffen mit Julia und Sabrina: ein verklemmter Banker, den ich zunächst auftauen musste, ein witziger Psychologiestudent, der deutlich kreativer war als sein biederes Äußeres vermuten ließ, ein Bäckereiverkäufer, der mindestens ebenso knackig wie seine Brötchen war, ein charmanter Busfahrer, mit dem ich in der Pause zwischen zwei Fahrten eine „Sonderfahrt“ machte, und, als Sahnehäubchen, ein Musicaltänzer, der mir das Gefühl der Schwerelosigkeit verschaffte.

Aber der einzige, den ich über eine App kennengelernt habe, war der Banker, und mit ihm war es ungefähr so aufregend als würde man Sex mit Excel haben, da war wenig Power(point) drin. Die anderen habe ich mir mit einem Lächeln geangelt, einfach so. Und obwohl ich ziemlich viele Frösche anlächeln musste, ist es grundsätzlich von Vorteil, in einer großen Stadt mit vielen Singles zu leben. Auch wenn weder ein Daniel Craig noch ein Orlando Bloom noch ein Johnny Depp dabei war.

5 Gedanken zu “Vollgas im Leerlauf

  1. Ich fidne Dich nicht irre, sondern verstehe Dich. Ich wünsche Dir reizvolle Kicks und dass doch noch ein paar Craigbloomdepps kommen werden. Am besten mehrmals.^^ Liebe Grüße, Jo 🙂

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    1. Vielen Dank, das hast du sehr schön gesagt 🙂 Meine Freundinnen finden mich auch nicht wirklich irre, sie kennen mich ja schon ein paar Jahre, aber ich kann verstehen, dass sie sich Sorgen um mich machen.

      Diese Phase ist noch nicht vorbei, und ich bin mit dem Schreiben noch nicht ganz in der Gegenwart angekommen, aber es sind schon noch einige irre Sachen passiert … Bisher aber ohne echte Gefahr, zumindest empfinde ich das so 😉

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  2. Hahaaa… ich hab köstlich gelacht über deine witzige Beschreibung deiner Typen. 😀
    Und ich finde es wahnsinnig beeindruckend, dass du es schaffst, nur mit einem Lächeln einen Typen klar zu machen. Wenn ich so ein verzauberndes Lächeln hätte, würde ich diesen Weg auch Tinder vorziehen. 😉

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    1. Ich freue mich, dass das so lustig rüberkommt, das war teilweise auch wirklich witzig!

      Die Erfolgsquote ist allerdings erschütternd niedrig. Aber ich kann auf Kommando lächeln, das reißt es wieder raus 😉 Und wenn man wirklich was will, ist einem die Quote auch echt egal.

      Außerdem bin ich eine Frau, und – Klischee! – die Männer wollen in meiner zugegeben sehr großen Stadt offensichtlich sowieso immer nur das Eine. Und das kriegen sie mit mir. Weil ich das (und momentan nur das) auch will 😉

      Ich hoffe ich komme mit dem Schreiben irgendwann hinterher, das ist alles vor ein paar Wochen passiert.

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